Evangelische Straffälligenhilfe

Evangelische Straffälligenhilfe ist Soziale Arbeit. Sie richtet ihre Angebote an Menschen, die sich in Konflikt mit dem Strafrecht befinden, die inhaftiert sind oder aus der Haft entlassen wurden. Sie richtet ihre Angebote auch an Angehörige. Sie führt Beratungen innerhalb und außerhalb von Justizvollzugsanstalten durch. Ihre Angebote haben das gemeinsame Ziel, in den aktuellen Lebenssituationen für ihre Klient*innen gute Lösungen zu finden, (erneute) Inhaftierungen zu vermeiden bzw. Haftzeiten zu verkürzen. Dabei gelten elementare Prinzipien.

Deutsches Strafrecht ist auf den sanktionierenden Umgang mit allen Menschen ausgelegt, die straffällig im Sinne des Gesetzes geworden sind, außer wenn Täter*innen unter das Jugendgerichtsgesetz (JGG) fallen.

Rechtsgrundlagen für das Erwachsenenstrafrecht bilden vor allem das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung sowie die Vollstreckungsgesetze (Justizvollzugsgesetze der Länder). Das Strafrecht sieht zwei grundlegende Formen von Strafen vor: Geldstrafe und Freiheitsstrafe (Freiheitsstrafe kann zur Bewährung ausgesetzt werden). Neben der Übelzufügung durch die Strafe hat das Strafrecht die Aufgabe, Gerechtigkeit herzustellen. Vor allem aber soll das Strafrecht spezialpräventive Wirkungen erzielen, also Rückfälligkeit vermeiden, und so auch die Allgemeinheit vor neuen Straftaten schützen. Dazu soll es bei Straftäter*innen eine Haltung fördern, die zu Legalbewährung (Straffreiheit) führt. Dies versucht es mit Bestrafung und, soweit eine Freiheitsstrafe verhängt wurde, mit Verhaltensregulierung zu erreichen. Die Möglichkeit, ein zufriedenstellendes Leben in Teilhabe an der Gesellschaft führen zu können, gilt als bester Schutz vor Rückfälligkeit. In der Literatur - und in der Praxis - setzt sich die Einsicht durch, dass auch Straftäter*innen Unterstützung bekommen sollten, um tatsächlich straffrei leben zu können. Umgangssprachlich wird von Resozialisierung gesprochen. Evangelische Straffälligenhilfe verfügt über Dienste und Einrichtungen, die ihre Kenntnisse und Kompetenzen in der Resozialisierungsarbeit zielführend einbringen.

Prinzipien Evangelischer Straffälligenhilfe

Freiwilligkeit und Wahlfreiheit

Die Betroffenen entscheiden, ob und welches Hilfeangebot sie wahrnehmen wollen.

Verschwiegenheit

Die professionell gestaltete helfende Beziehung zwischen den Mitarbeitenden der Straffälligenhilfe und den Betroffenen ist die Grundlage der Veränderung sozialen Verhaltens. Der Schutz einer Vertrauensbasis ist zu gewährleisten.

Rechtzeitigkeit

Die Hilfe setzt so früh wie möglich ein und wird solange wie nötig angeboten.

Durchgängigkeit

Die Zuständigkeit für die Hilfe liegt idealerweise bei derselben Person bzw. demselben Träger, unabhängig von aktuellen Verfahrensabschnitten.

Ganzheitlichkeit

Die Hilfe bezieht das soziale Umfeld der Inhaftierten (z. B. Angehörige) ein.

Die Einhaltung dieser Prinzipien hat sich bewährt: Evangelische Straffälligenhilfe ist Soziale Arbeit. Als solche ist sie Arbeit in und an der Beziehung mit ihren Klient*innen. Ihr Erfolg gründet unter anderem darauf, dass eine tragfähige Beziehung hergestellt wird.

Angebote Evangelischer Straffälligenhilfe

Beratungen in den Justizvollzugsanstalten
Beratungen in den Justizvollzugsanstalten (JVA) dienen der Unterstützung bei der Vorbereitung auf die Entlassung. Viele der im Folgenden genannten Arbeitsbereiche sind sowohl in der Haft als auch danach relevante Beratungsthemen. In der schwierigen Phase des Übergangs direkt nach der Haftentlassung geht es insbesondere um Hilfen bei der Absicherung der Existenz sowie um psychosoziale Stützung und Förderung.

Existenzsicherung
Direkt nach der Haftentlassung ist es entscheidend, dass für die wesentlichen Bedürfnisse gesorgt ist bzw. gesorgt wird. Evangelische Straffälligenhilfe unterstützt Menschen, die aus der Haft entlassen sind, bei der materiellen Absicherung. Insbesondere wird Orientierungsberatung im Bereich der Sozialgesetzbücher, Unterstützung beim Umgang mit Behörden und Informationen über die Möglichkeiten der Rechtsberatung nach dem Beratungshilfegesetz angeboten.

Wohnangebote für Haftentlassene
Die zufriedenstellende Regulierung der Wohnsituation wird immer wieder als das vordringlichste Thema der Beratungen in der Straffälligenhilfe genannt. Umgekehrt bedeutet das, dass Menschen, die aus Haft entlassen werden, häufig ohne Wohnung sind. Damit ist die Gefahr des Rückfalls in dieser ohnehin vulnerablen Zeit des Übergangs hoch. Evangelische Straffälligenhilfe bietet Menschen nach der Haftentlassung Wohnraumhilfen an. So werden eigene Wohngruppen, angemieteter Wohnraum und/oder Wohnraumvermittlung bzw. Unterstützung bei der Wohnungssuche vorgehalten. Dies geschieht als stationäre und ambulante Hilfe nach § 67 SGB XII, in eigenen Wohngruppen und als Element der beratenden Tätigkeiten.

Hilfe bei der Integration in den Arbeitsmarkt.
Die Evangelische Straffälligenhilfe arbeitet mit der Bundesagentur für Arbeit und mit den örtlichen Jobcentern zusammen. Gemeinsam leistet sie in Zusammenarbeit mit weiteren Akteuren Unterstützung im gesamten Beratungsverlauf.

Hilfe bei der Schuldenregulierung
Evangelische Straffälligenhilfe bietet Einzelfallhilfe bei der Regulierung von Schulden an. Ersatzweise vermittelt sie Inhaftierte und Haftentlassene zeitnah an Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen, mit denen sie vernetzt kooperiert.

Hilfe bei Suchtgefährdungen und der Gesundheitsfürsorge
Evangelische Straffälligenhilfe bietet Beratung und Begleitung bei Suchtproblemen und bei der Gesundheitsfürsorge an. Sie unterstützt bei der Vermittlung an Facheinrichtungen.

Haftvermeidung
Haftvermeidung ist ein wesentliches Ziel Evangelischer Straffälligenhilfe, um schädliche Folgen der Haft zu verhindern. Die Wohnangebote tragen zur Haftvermeidung bei. Strafrestaussetzungen können gewährt werden, wenn ein Wohnort vorhanden ist. Durch die Vermeidung von Wohnungslosigkeit wird auch Straffälligkeit mit erneuter Inhaftierung vermieden. Neben sozialpolitischen Impulsen, über Entkriminalisierung und alternative Sanktionsformen zu diskutieren, ist Evangelische Straffälligenhilfe im Bereich der Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen (s.u.) aktiv.

Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen
Über 80% der Verurteilten erhalten eine Geldstrafe, die in Tagessätzen ausgedrückt wird. Wenn innerhalb der vorgegebenen Frist diese Geldstrafe nicht beglichen bzw. auch kein Antrag auf Ratenzahlung/Stundung oder Umwandlung in gemeinnützige Arbeit gestellt wird, wird diese Geldstrafe umgewandelt in Ersatz-Freiheitsstrafe. Viele der Betroffenen wären mit sozialpädagogischer Unterstützung in der Lage, diese Freiheitsentziehung zu vermeiden. Ihnen fehlt das Wissen bzw. die Fähigkeit, bei der Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Ratenzahlung zur Stundung zu stellen oder es gibt Schwierigkeiten im Umgang mit Geld bzw. mit Verschuldung oder mit dem Ausfüllen von Überweisungsträgern. Hier hat sich die Geldverwaltung zur Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen bewährt. Sie wird von der Straffälligenhilfe angeboten und hat verschiedene messbare Wirkungen: Vermeidung von Haft und Einzahlung von Geldstrafen, die als „uneinbringlich“ galten. Dadurch wird die Schwelle zu den Beratungsleistungen der Evangelischen Straffälligenhilfe deutlich gesenkt, so dass eine zusätzliche Chance auf das Wahrnehmen von Beratung besteht.

Fachstellen zur Vermittlung von gemeinnütziger Arbeit
Um eine Ersatzfreiheitsstrafe für uneinbringliche Geldstrafen zu vermeiden, kann auf Antrag gemeinnützige Arbeit geleistet werden. Evangelische Straffälligenhilfe unterstützt Betroffene bei der Antragstellung und Vermittlung von solchen Arbeitsplätzen. Und sie begleitet Klient*innen während der Maßnahme.

Täter-Opfer-Ausgleich für Erwachsene
Der Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenstrafrecht unterscheidet sich in der Grundausrichtung nicht vom Täter-Opfer-Ausgleich im Jugendstrafrecht. Siehe daher die Ausführungen dazu.

Ehrenamtliche Mitarbeit
Die Mitarbeit ehrenamtlich Tätiger ist im Arbeitsfeld der Straffälligenhilfe vielfältig und vielseitig. Eine Möglichkeit ist es, längerfristige Besuchsdienste in Haftanstalten für bestimmte Inhaftierte zu leisten. So wird Kontakt von außen zu ermöglicht und die „Außenwelt“ in die Haft gebracht. Dies ist besonders für Inhaftierte ohne Angehörige bzw. bei längeren Haftstrafen sinnvoll. Wenn die Voraussetzungen vorliegen, können Inhaftierte durch ehrenamtlich Mitarbeitende bei Lockerungen (sog. Ausgang) begleitet werden. Eine weitere Möglichkeit besteht in Briefkontakten zu Inhaftierten. Auch bei Gottesdiensten in der JVA können Ehrenamtliche mitarbeiten. Weiterhin existieren Gruppenangebote, die durch Ehrenamtliche in den JVA organisiert werden.

Beratung, Behandlung und Therapie von besonderen Tätergruppen
Diakonische Träger halten für besondere Tätergruppen – hier sind insbesondere Sexualstraftäter, Gewalttäter und Täter Häuslicher Gewalt zu nennen – spezielle Beratungs-, Behandlungs- und Therapieangebote vor. Die Maßnahmen werden sowohl im Justizvollzug als auch nach der Entlassung angeboten und finden sowohl Einzeln- als auch in der Gruppe statt.

Angebote für Familienangehörige und speziell für Kinder von Inhaftierten
Gerade für Kinder ist die Inhaftierung eines Familienangehörigen eine große Herausforderung und ein einschneidendes Erlebnis. Durch Angebote wie z.B. Vater-Kind-Wochenenden bieten Diakonische Träger Entlastung und Unterstützung für alle Beteiligten an. Ehe- und Familienseminare für Inhaftierte und deren Angehörige sind weitere Angebote. Stabile Familienverhältnisse können den Einstieg in ein straffreies Leben nach der Haft erleichtern.

Freizeitmaßnahmen für Inhaftierte
Freizeiten oder Wochenendangebote (Hafturlaub) auch mit Angehörigen sind Angebote der Evangelischen Straffälligenhilfe, die auf ein Leben in Freiheit vorbereiten, indem sie den Kontakt zum Leben "draußen" herstellen.

Fachwoche Straffälligenhilfe

Die Fachwoche Straffälligenhilfe ist eine Veranstaltungsreihe, die abwechselnd und in Kooperation von den konfessionellen Straffälligenhilfen durchgeführt wird.

2019

Freiheit wagen. Alternativen zur Haft.

In der Fachwelt ist es wenig umstritten, dass in Deutschland zu viel eingesperrt wird, obwohl der Entzug der Freiheit die Ultima Ratio sein sollte. Tatsächlich wird in circa 80 % aller strafrechtlichen Urteile auf Geldstrafe befunden. Wenn Verurteilte die Geldstrafe nicht bezahlen (können), wird Ersatzfreiheitsstrafe verhängt. Dies betrifft insbesondere Menschen, die über wenig Einkommen oder Vermögen verfügen. So sind zu jedem Zeitpunkt weit über 4.000 Menschen inhaftiert, die eine Geldstrafe nicht bezahlen (können). Die Haftdauer richtet sich nach der Höhe der Geldstrafe, dabei wird die Anzahl der Tagessätze in Hafttage umgerechnet. Schätzungen zufolge werden pro Jahr 50.000 Menschen eingesperrt, obwohl das Gericht ein anderes Urteil ausgesprochen hat.

Aber auch die direkt ausgesprochenen Haftstrafen für Straftaten sind ihrer Wirkung nach in Frage zu stellen. Bessert das Gefängnis die Menschen? Hilft das Gefängnis bei der Resozialisierung? Welche Funktion erfüllt überhaupt die Gefängnisstrafe in Bezug auf den Rest der Gesellschaft? Gibt es gute Alternativen? Könnten soziale Reaktionen hilfreicher sein als strafrechtliche Sanktionen?

Mit solchen und weiteren Fragen wollen wir uns aus theologischer, sozialwissenschaftlicher, politischer, ethischer und sozialarbeiterischer Perspektive beschäftigen.

Wir freuen uns auf interessante Vorträge, intensive Diskussionen, gute Anregungen und Anstöße für das Ringen um das höchste Gut, das unsere Gesellschaft zu bieten hat – Freiheit! Wir freuen uns auf Sie!

Das Tagungsprogramm finden Sie hier:

Einige der gehaltenen Präsentationen finden Sie hier:

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